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Uniform oder Meerjungfrau? – Interview mit Anna Prohaska

Uniform oder Meerjungfrau? – Interview mit Anna Prohaska

Ist es immer notwendig authentisch zu sein um zu unterhalten? 
Es ist immer die Frage: Was ist Authentizität? Es ist sehr kompliziert, wenn man Liederabende macht dann ist man da sehr nackt und sehr exponiert und da verstecke ich mich eigentlich schon ganz gerne hinter einer Art von Rolle. Das muss jetzt keine Fassade sein — ich möchte schon durchsichtig sein. Ich möchte emotional transparent sein aber wenn ich einen Liederabend über Soldaten, über Krieg, mache dann ziehe ich mir sowas Uniformartiges an oder wenn ich etwas über die kleine Seejungfrau, über Loreley mache dann ziehe ich mir so ein Meerjungfrauenkleid an. Das hilft schon auch um sich dahinter zu verstecken, weil man eben nicht wie auf der Opernbühne eine Maske und ein Kostüm hat und ich finde dadurch verliert man aber auch nicht unbedingt die Authentizität. 
Dieses typisch authentische kann auch Fake sein und eine gewisse Fälsche haben. Man macht ein Video oder fotografiert sich auf Instagram oder Facebook wo man gerade eben aufgestanden ist aber man hat schon das ganze Make-Up und die Haare vorher schon eingedreht und sich schon stylen lassen. Und dann wuschelt man das einmal noch durch und tut so als wäre man gerade aufgestanden. Das ist natürlich Fake. Und das ist eine moderne Krankheit, dass man glaubt man müsste sich selbst in allen Lebenslagen darstellen.

Sänger*innen begegnen ja auch viel schneller konkreten Rollen durch den Text?
Für uns ist der Text eine Mischung aus Segen und Fluch, auf der einen Seite weil wir automatisch schon einmal eine Bedeutung haben, die wir transportieren können und auf der anderen Seite kann man durch übertriebenen Ausdruck zu viel reinlegen oder zum Beispiel die Konsonanten zu stark betonen — dann wird es irrsinnig pathetisch.
Und man kann diesen puristischen Zugang zur Musik verlieren den Instrumentalisten ohne Text schon von Natur aus haben. Auf der anderen Seite sagen die Instrumentalisten, sie beneiden uns, dass wir den Text haben und wir wüssten schon wie man das machen soll. Aber man kann natürlich eine Strophe in einem Schubert Lied auf hundert verschiedene Arten machen. Zumindest hat man aber schonmal einen Anfang — eine Art Sprungbrett von dem aus man arbeiten kann.

Ist für dich eine Identität wichtig?
Also eine Art Marke im positiven Sinne? Ein Markenzeichen? Ja auf jeden Fall, das ist mir sehr wichtig denn ich möchte niemals ein Publikum langweilen und ich möchte niemals das Gefühl haben, dass ich jetzt nur Sachen singe, die sie eh schon kennen und die man schon hundert mal gehört hat. Ich finde es ist sehr wichtig ein Programm aufzumischen. Aber nicht nur unbekannte Sachen das ist auch manchmal ein bisschen schwierig. Die Leute brauchen schon gewisse Widerhaken oder Anker an denen sie sich festhalten können. Aber ich finde es schön gerade von bekannten Komponisten unbekannte Lieder zu singen. Das heißt man erkennt, dass es von Schubert ist, aber man hat es noch nie gehört weil er ja über 600 Lieder geschrieben hat. Das ist vielleicht ein bisschen ein Markenzeichen von mir oder auch, dass ich aus verschiedenen Epochen Programme zusammenzustellen wo wirklich die Epochen wild durcheinander gemischt werden aber einen klaren, sehr starken dramaturgischen Zusammenhang haben und auch von den Tonarten extrem gut zueinander passen und ineinander übergehen — wie so eine Art Suite. Mir schon sehr wichtig das weiter beizubehalten weil diese Arten von Programmen inspirieren mich am meisten wenn ich sie übe, aber auch als Zuhörer im Konzert genieße ich solche Programme auch am meisten.

Wo ist die Grenze zwischen der musikalischen und persönlichen Identität?
Das sind fließende Übergänge. Wir Sänger tragen ja unsere Seele über die Stimme nach außen. Das ist ein extrem direkter Weg. Also ich will keinem Instrumentalisten zu nahe treten, natürlich sprechen die auch mit ihrer Geige, ihrem Cello, ihrer Oboe direkt aus der Seele im besten Falle. Aber wir haben natürlich kein Stück Holz, kein Stück Metall oder kein großes Instrument was dazwischen ist sondern wir produzieren den Klang mit unserem Körper und mit nichts anderem — klassische Sänger singen noch nichtmal mit Mikrophon. Es ist der direkte Weg von Seele zum Ohr des Publikums. Und da kann man natürlich das, was man so privat erlebt nicht so krass trennen von der Arbeit — das wird immer mitschwingen. Jede Freude, jede Trauer, jeder Stress spiegelt sich sofort im Instrument wieder.

Du hast schon davon gesprochen, dass du zum Beispiel über Krieg und Soldaten singst. Wie schaffst du es in solchen Momenten authentisch auf der Bühne zu agieren wenn du solche Dinge noch nicht erlebt hast?
Wir Sänger sind daran gewöhnt, ähnlich wie Schauspieler uns in Lagen zu versetzen, die wir noch nie erlebt haben. Es wird oft gefragt, wie es ist eine Hosenrolle zu machen oder eine Frau zu küssen - das ist irgendwie so bescheuert weil man spielt ja auch einen Mörder und hat niemanden umgebracht. Das wäre ja auch furchtbar. Das heißt wir sind gewöhnt daran uns auch in Extremsituationen auf der Bühne hineinzuversetzen oder auch vollkommen andere Identitäten anzunehmen. 
Ich kann einfach nur sagen, dass ich das von außen versucht habe metikulös zu studieren. Ich habe zum Beispiel viele Quellen gelesen viele Briefe von Soldaten nach hause, viele Tagebücher von daheim Gebliebenen einfach Geschichtsbücher und historische Dokumente. Also das finde ich irrsinnig spannend und das ist auch total mein Ding mich da reinzulesen und reinzuversetzen aber ich möchte nicht auf voyeuristische Art so tun als ob ich da im Bombenkeller sitze und zittere. Es geht um eine seelische Landkarte, die ich rüberbringen möchte von dem Schicksal was es bedeutet zum Beispiel in eine Schlacht oder Kampfeslust zukommen. Das finde ich sehr spannend was da passiert mit dem menschlichen Körper, hormonell und wie dieses Fight & Flight Syndrom umschlägt in extreme Gewalt. Das ist irgendwie etwas was ich ich persönlich noch nie erlebt habe aber ich finde es sehr sehr spannend dem nachzugehen.

Wie ist für dich das Verhältnis zwischen eigener Kreation und der Reproduktion von anderen Künstlern?
Ich habe ehrlich gesagt in meinem Leben selten komponiert. Als Teenager habe ich in einer Band gespielt und habe da ein paar Songs geschrieben — mehr schlecht als recht. Aber das ist natürlich etwas anderes wenn man sein eigenes Zeug singt. Das ist automatisch viel persönlicher aber das war mir viel zu peinlich und ich habe dann damit aufgehört, weil ich gemerkt habe, dass ich nicht so viel Talent dafür hatte und habe mich dann darauf berufen fremde Stücke zu singen. 

Und dir fehlt nichts wenn du nur die Musik von anderen aufführst?
Nein überhaupt nicht. Mein Sängerleben ist gar nicht lang genug um alle Stücke aufzuführen, die ich gerne aufführen würde. Schubert hat alleine über 600 Lieder geschrieben, Bach hat über 200 Kantaten geschrieben und viele davon für Sopran. Ich ackere mich langsam durch aber deswegen bin ich auch immer so ein bisschen streng wenn mich ein Ensemble fragt: Willst du nicht mit uns die Hochzeitskantaten machen? Dann denke ich mir: Aber ich habe noch 216 andere noch nicht gesungen, können wir nicht einfach mal was anderes machen? Es gibt so viel Musik von Bach die unglaublich ist. Man muss nicht immer diese Superschlager irgendwie machen.

Wie groß ist der kreative Spielraum für dich als Interpretin?
Das kommt darauf an mit wem man Musik macht. Zum Beispiel mit einem Pianisten mit dem man sich gut versteht ist der Spielraum unendlich. Aber wenn man mit einem super festgefahrenen Dirigenten und einem Orchester arbeitet, was überhaupt nicht frei phrasieren kann und immer nur nach dem Takt spielt, dann fühlt man sich wie in einem Korsett. Es ist von Mal zu Mal, von Partner zu Partner komplett anders.

Wie stehst du zur Frage der Werktreue? 
Das ist die Frage mit dieser Werktreue. Wir haben keine CDs aus der Zeit von Bach, Vivaldi oder Purcell, sondern wir können nur Quellen studieren. Aber das sind natürlich verbale Umschreibungen von musikalischen Vorgaben und Phänomenen. Es gibt Komponisten die sehr schön oder sehr konkret über Musik schreiben wie Leopold Mozart, aber das bezieht sich dann immer nur auf einen Hof, auf einen Bereich, ein Land, ein Herzogtum oder eine bestimmte Kirche, wie musiziert wurde. Das heißt nicht im Barock wurde das so und so gemacht. Der Barock umfasst eine zeit von über 100 Jahren und die verschiedensten Länder von Sankt Petersburg bis Südamerika. Ich persönlich habe nicht an einer spezialisierten Hochschule für alte Musik studiert, aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass ich eine ziemlich genaue und für mich gute Klangvorstellung habe, wie die Musik von Vivaldi oder wie die Musik von Händel klingen soll und gut klingt.

Sopranistin Fatma Said

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Wolfgang Beltracchi – Eine Collage

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