10 Wochen - 10 Werke #5: George Enescu: Streichoktett
Streichoktett C-Dur op. 7 von George Enescu
Fr., 6. Juli, 11:15 Uhr Pfarrkirche Lockenhaus
George Enescu: Streichoktett C-Dur op. 7
Vilde Frang, Barnabas Kelemen, Maia Cabeza, Sarah Christian, Violine
Lawrence Power, Katalin Kokas, Viola
Nicolas Altstaedt, Maximilian Hornung, Cello
Karten: Tel: +43 (0)2616 20202 I online >>> I Kreditkartenbuchung derzeit nur bei öticket >>>
Riesenhaftes Jugendwerk:
Das Streichoktett C-Dur op. 7 von George Enescu
Kaum den Kinderschuhen entwachsen, komponierte Felix Mendelssohn als 16-Jähriger im Jahr 1825 das Oktett für Streicher Es-Dur op. 20. Dieser geniale Wurf sollte der Wahrnehmung des Streichoktetts als Gattung einen entscheidenden Impuls geben. In der Partitur gab Mendelssohn folgende Anweisung: „Dieses Oktett muss von allen Instrumenten im Style eines symphonischen Orchesters gespielt werden.“ Es ging ihm dabei weniger um symphonische Klangfülle, sondern um die Auffassung des Satzes als durchweg achtstimmig, ohne dabei die kammermusikalische Transparenz aufzugeben. So kann die Besetzung aus vier Violinen, zwei Bratschen und zwei Celli als homogener Klangkörper fungieren oder es schließen sich einzelne Stimmen zu eigenen Gruppen zusammen.
An Mendelssohns Meisterwerk führte kein Weg vorbei, auch nicht für den aufstrebenden Komponisten George Enescu. Zwar war er nicht ganz so jung wie Mendelssohn, doch der 19-jährige Rumäne legte mit seinem im Jahr 1900 entstandenen Streichoktett C-Dur op. 7 ein Werk für diese Besetzung vor, dass noch um einiges länger als dasjenige des älteren Kollegen ist. Genau genommen ist es ein einziger langer Satz. Dazu bemerkte Enescu in seinem Vorwort: „Dieses Oktett ist ein zyklisches Werk und hat folgende Besonderheiten: Nach klassischer Form ist es in vier unterschiedliche Sätze unterteilt, wobei jeder Satz unmittelbar mit dem nächsten verbunden ist, um so einen einzigen Symphoniesatz zu bilden. In diesem erweiterten Maßstab folgen dessen Abschnitte der Form eines symphonischen Kopfsatzes.“ Enescu hatte mit diesem Werk also einen monumentalen Sonatensatz im Sinn. Dabei nahm er sich die von Mendelssohn so ausgefeilte Stimmenausarbeitung zu Herzen.
Über dem sanft pulsierenden tiefen c des zweiten Violoncello verlaufen zu Beginn des ersten Satzes alle anderen Streicherstimmen im Unisono. Die Melodie changiert dabei permanent zwischen C-Dur und c-Moll. Die phrygische Sekunde erinnert an modale Melodiebildungen, wie sie für den gesamten osteuropäischen Raum typisch sind. Kennzeichnend für das ganze Werk ist eine nuancierte melodische Ausarbeitung, welche alle Stimmen miteinbezieht und zuweilen beim Lesen der Partitur zur Verwirrung darüber führt, welche Stimme denn nun eigentlich Melodieträger ist. Aus diesem Grund hat Enescu die jeweiligen Stimmen in der Partitur gekennzeichnet. Die anmutige und farbenprächtige Gestaltung des Satzes beinhaltet imitatorischen Kontrapunkt ebenso wie Tutti-Passagen mit symphonischen Klangwirkungen und Solo-Abschnitte einzelner Stimmen, wobei die Begleitstimmen einen fein austarierten und in ständiger Veränderung begriffenen Klanghintergrund bilden. Die beiden Hauptthemen, das tonal schwebende Unisono-Thema vom Anfang und ein von der Bratsche vorgestelltes melancholisches zweites, bestimmen in immer neuen Variationen den Verlauf. Einen mystischen Schlusspunkt setzt die quasi-improvisierte Streichermelodie mit ihren darunter liegenden Bordun-Quinten.
Im zweiten Satz erscheint das rhythmisch veränderte und stark beschleunigte Hauptthema aus dem Kopfsatz als melodische Basis der beiden schroffen Rahmenteile. Wie die verfremdete Melodie wirkt alles in diesem Mittelsatz hitzig und aufbrausend, eben „très fougueux“. Doch auch die Gluthitze des Scherzo verflüchtigt sich und leitet über in den langsamen, in schweren Vierteln atmenden Klagegesang. Die rhythmische Transformation des Grundpulses ist das Thema dieses dritten Satzes, über dem die chromatisch reizvoll ausharmonisierte Melodie schwebt. Etwas leichtfüßiger bewegen sich die tenuto-Achtel; sie gehen über in Achteltriolen und schließlich in eine belebte Synkopenrhythmik.
Kontrapunktische Melodieranken bilden die Vorbereitung für den finalen, diabolisch zitternden Walzer, der ganz im Sinne der Fin de siècle-Ästhetik der Jahrhundertwende die Schönheit des Zerfalls und des Morbiden musikalisch einfängt. Tonal steht dieser Walzer auf wackeligen Füßen, das Bratschenthema aus dem Kopfsatz blitzt grotesk verzerrt immer wieder darin auf und auch Bruchstücke des Unisono-Themas erhalten immer deutlichere Konturen. Wie ein wilder Rausch mag dem Hörer der Schluss des Werkes vorkommen, in dem Enescu alle darin eingeführten Themen miteinander verquickt und mal das eine oder andere stärker zu Wort kommen lässt. Motive und Melodiefragmente können dabei parallel in Einzelstimmen verlaufen und werden dabei sogar noch von einer weiteren Themenschicht mit gedehnten Notenwerten überlagert. Sobald sich das Ohr eine bekannte, vertraut klingende Phrase sprichwörtlich „greifen“ möchte, ist sie auch schon wieder verschwunden im großen Klangrausch dieses Finales.
Miriam Weiss