10 Wochen - 10 Werke #9: Johannes Brahms: 3. Symphonie
Donnerstag 12.07.18, 11:15 Uhr Kirche
Johannes Brahms: 3. Sinfonie in F-Dur, op.90
Alexander Lonquich & Cristina Barbuti, Klavier
Karten: Tel: +43 2616 20202 online >>>
Der verkannte Neutöner
Symphonie Nr. 3 F-Dur op. 90 von Johannes Brahms
Manchmal entfaltet sich die wahre schöpferische Kraft und Originalität eines Kunstwerks erst viele Jahre nach seinem Entstehen. Zu Lebzeiten wurde Johannes Brahms von den Neudeutschen als verschrobener Traditionalist belächelt bis verspottet, der sich immer noch mit Kammermusik abgab. Jene Antipoden von damals hätten nicht schlecht gestaunt, wenn sie im Jahr 1933 jenen berühmten Vortrag Arnold Schönbergs im Radio gehört hätten, der unter dem Titel „Brahms, der Fortschrittliche“ gesendet wurde. Ausgerechnet Schönberg, der Musikrevolutionär überhaupt, sah seinen Weg in die Moderne in der Nachfolge von Brahms begründet und brachte dessen motivische Variationstechnik in Zusammenhang mit der Entwicklung der Zwölftonmusik. Erprobt wurde der Ausbruch aus der Tonalität zunächst in kammermusikalischen Gattungen: Und ehe man es sich versah, schwangen sich die einstigen Formate des „Rückschritts“ zum Zugpferd der Avantgarde auf.
Brahms hätte bestimmt Genugtuung verspürt, doch auch ohne das Wissen um seine posthume Rehabilitierung folgte er trotz des heftigen Gegenwinds von Liszt, Wagner und Co. seiner künstlerischen Überzeugung. Dabei konzentrierte er sich ausnahmslos auf die musikalische Substanz im Rahmen tradierter Formen, unterzog diese jedoch vielfältigen Modifikationen. Mit der Symphonie tat er sich allerdings schwer. Seit Mitte der 1850er Jahre verliefen derartige Kompositionspläne immer wieder im Sande oder mündeten in Werken anderen Zuschnitts. Die beiden zwischen 1857 und 1859 komponierten Orchesterserenaden op. 11 und 16 und das Erste Klavierkonzert d-Moll op. 15, an dem Brahms von 1854 bis 1857 arbeitete, resultierten aus „verunglückten“ Symphonie-Entwürfen. Von der Frühfassung eines Symphoniesatzes (1862) bis zur tatsächlichen Vollendung der Ersten Symphonie (1876) sollten vierzehn Jahre vergehen. Für Brahms bedeutete sein Debüt in der nobelsten aller Orchestergattungen einen enormen Kraftakt.
Nachdem im direkten Anschluss an die Erste im Verlauf nur eines Jahres die Zweite Symphonie komponiert wurde (1877), dauerte es dann wiederum sechs Jahre, bis Brahms während seines mehrmonatigen Aufenthalts in Wiesbaden im Jahr 1883 die Dritte Symphonie zu Papier brachte. Gemeinsam mit Ignaz Brüll spielte Brahms das von ihm eingerichtete vierhändige Arrangement der Symphonie im engeren Freundeskreis vor. Der bei einem dieser Konzerte anwesende Dirigent Hans Richter verlieh dem Werk daraufhin den Spitznamen „Brahms’ Eroica“. Dennoch ist das Heroische keinesfalls der dominierende Ton in dem Werk. In der Rezension der von Richter dirigierten Wiener Uraufführung hob Eduard Hanslick die Instrumentierung hervor. Sie sei reicher an neuen reizenden Farbenmischungen als die beiden ersten Symphonien von Brahms. Hanslick könnte damit auch auf die variablen Klangwirkungen angespielt haben, die zwischen monumentalem, sattem Orchesterton und filigraner, kammermusikalischer Einrichtung changieren.
Die drei Bläserakkorde, die den Beginn des Kopfsatzes markieren, werden zum Motto des Werkes auserkoren. Diesem eingepflanzt ist das Schwanken zwischen Dur und Moll, welches die weitere harmonische Entwicklung bestimmen wird. Das direkt daran angeschlossene donnernde Hauptthema führen die Violinen ein (passionato). Es umspannt einen großen melodischen Ambitus und erfährt durch die sich aufschwingenden Achteltriolen eine kraftvolle Dynamik. Als Kontrast dazu bewegt sich das pastorale Seitenthema (grazioso) in einem kleineren Tonraum. Es fokussiert lediglich die Holzbläser, die mit der Bordun-Begleitung der Streicher behutsam unterstützt werden.
Im geruhsam schreitenden Hauptthema, welches das folgenden Andante in immer neuen Varianten durchströmt, wirkt die liebliche Stimmung des Seitenthemas aus dem Kopfsatz nach und auch das Motto blitzt in den nachgesetzten Streicherakkorden auf. An dem satzübergreifenden Netz thematischer und motivischer Beziehungen wird auch in dem an dritter Stelle stehenden Tanzsatz weiter gesponnen. Dieser versprüht allerdings nicht das Temperament eines forschen Scherzo, sondern übt sich, was Tempo und Dynamik betrifft, in vornehmer Zurückhaltung. Besonders eindrucksvoll wird Brahms’ Variationstechnik im Finalsatz wirksam. Aus dem Hauptthema, welches aus einer wellenartigen Unisono-Melodie mit synkopisch akzentuiertem Nachsatz besteht, werden nahezu sämtliche Ereignisse des Satzes entwickelt. Durch seine harmonische Ansiedelung entlang der Dominante wohnt diesem Thema eine prickelnde Spannung inne, welche den rettenden Hafen der Tonika geschickt umschifft und stattdessen zu immer neuen Ufern aufbricht. Die Instrumentierung erzeugt dramatische Wirkungen, lässt aber auch introvertierten Klanginseln Raum. Allmählich glätten sich die Wogen und zwischen den ruhigen Bläserakkorden in verklärtem F-Dur meldet sich in den Streichern zart, wie aus der Ferne, der Hauptthemenkopf aus dem ersten Satz zurück.
Miriam Weiss